Zungenbrecher für Ministranten
Dat „Susipiat“ es schwär.
Wenn man so um das Jahr 1960 herum Vertreter aller politischen Richtungen fragte, wer denn in der Gesellschaft besonders benachteiligt sei, dann lautete oft die Antwort: „Das katholische Mädchen vom Lande“. Dies stimmte leider auch in fast allen Punkten, welche diese Floskel zum Inhalt hatte, vor allem, was die Mädchen betraf.
Aber halt! Moment! In einem Punkte stimmte sie nicht. Eine Benachteiligung betraf ebenfalls den katholischen Jungen. Nämlich im Sprechen und Verstehen des Lateinischen bei der Messe. Sehr große Anteile der Jungen jedes Jahrgangs wurden Messdiener und mussten – der Liturgie entsprechend – in lateinischer Sprache längere Gebete sprechen. Die Mädchen waren leider noch keine Messdienerinnen, was heute endlich anders ist.
Sowohl früher als auch heute ist die Aktivität der Messdiener*innen eine lobenswerte Angelegenheit. Sie opfern einen Teil ihrer Freizeit, um zusammen mit anderen für die Gemeinde beim Gottesdienst helfend da zu sein.
Vor meiner Ausbildung war ich gewarnt worden: „Dat Susipiat es schwär“. Sie verlief folgendermaßen. Der Pfarrer berief uns im Sommer zu mehreren Sitzungen ein, um die lateinischen Texte für die Messe lernen zu lassen. Wir saßen im Schneidersitz auf der Lavalithdecke des Hofes vor dem Pfarrhaus. Unser Pastor, den wir alle sehr achteten, und der unermüdlich viel Gutes für die Pfarrei und die Menschen getan hat, sogar künstlerisch-literarisch ambitioniert war, sprach uns die Texte so lange vor, bis wir sie auswendig konnten, allerdings ohne sie zu verstehen. Er hielt auf Lerndisziplin, bemerkte die Aussprachefehler, und half beim Nachsprechen. Wer die Gebetstexte fehlerfrei sprechen konnte, nachdem er abgehört worden war, durfte gehen. Er brauchte nicht mehr wiederzukommen. Wer nicht, der musste so lange kommen, bis er die Texte endlich auswendig konnte. Trotzdem schlossen sich im Laufe der Jahre wieder Aussprachefehler ein. Dabei betraf dies oft das „Susipiat“. Aber eigentlich war dies unvermeidbar. Denn wir waren benachteiligte Jungen.
Günter Hummes