Der Pfarrer auf dem Sozius...
Erinnerung an einen Kirchweg in den 1950er Jahren
Winterzeit. Die Straßen sind morgens um sechs Uhr noch nicht schnee- und eisfrei. Der Räumdienst kommt später, die Straßenwärter werfen dann mit der Schaufel von der Pritsche des langsam fahrenden LKWs Splitt, nicht Salz, herunter auf die Straße.
Trotz des Winters: Der Küster fährt mit seinem kleinen Motorrad, der Pfarrer sitzt auf dem Sozius, sich mühsam durchkämpfend zur Filialkirche. Einmal in der Woche wird dort eine Messe gehalten. Auch bei miesem Wetter. Dies ist eine Anerkennung für die Filiale. Man braucht dann nicht den weiten Fußweg zur zentralen Pfarrkirche zu machen. Man kann bequem auf ganz kurzem Weg in die eigene Dorfkirche gehen.
Umgekehrt legen sonntags die Leute aus der Filiale selbstverständlich zu Fuß die lange Strecke zur zentralen Pfarrkirche zurück. Dort ist die Messe gut besucht. Man steht sogar hinten, weil alle Plätze in den Bänken besetzt sind. Liegt die hohe Zahl der Besucher an einem inneren Glaubensbedürfnis der Menschen? In ihrer Überzeugung? Oder ist der Grund z. T. in einer sozialen Gewohnheit zu sehen? Dies ist schwierig zu beantworten. Jedenfalls drückte sich der christliche Glaube damals u. a. wirksam im sonntäglichen Gottesdienstbesuch aus.
Nach der Sonntagsmesse sieht man sie dann eilig zurückgehen in ihr Dorf, sie kürzen ab, nehmen nicht die Straße, gehen über Feldwege und Wiesen. Dabei bilden sich auf dem Rückweg, wie auch schon auf dem Hinweg, einzelne Gruppen. Sie bestehen oft z. B. aus Menschen und Familien, die sowieso schon „gut Leut“ miteinander sind. Aber einige nehmen beim Schritttempo Rücksicht auf Ältere oder Kranke und begleiten sie.
Gegen Ende der 1950er Jahre, als es den Deutschen wirtschaftlich immer besser geht, werden die allmählich zahlreicher werdenden Autos – auch Traktoren – für den Kirchweg eingesetzt. Nach und nach gibt es immer weniger, die zu Fuß zur Kirche gehen. Noch bemerkt man nicht, dass die Zahl der Besucher ganz langsam zurückgeht.
Günter Hummes