Für die Menschen um Jesus ist das Bildwort vom „Guten Hirten“ absolut nicht fremd
4. Sonntag der Osterzeit – B – Apg 4,8-12; 1 Joh 3,1-2 u. Joh 10,11-18
Vom Sehen über das Staunen und Sich-freuen zum Glauben werden die Jünger geführt, indem sie das Wort des Auferstandenen hören und die heiligen Schriften verstehen lernen und sich in Bewegung setzen lassen zu den Menschen. Das ist der Weg des Erkennens der „unglaublichen“ Tatsache der Auferstehung des Gekreuzigten, wie ihn uns die Lesungen in der Liturgie seit Ostern nachzeichnen. Während die Jünger und mit ihnen die christliche Gemeinde all das tun, was der irdische Jesus tat; während sie Gott lieben und den Nächsten, wie sich selbst; während sie das wieder und weiter tun, erkennen und erleben sie, dass der Christus lebt und bei ihnen ist, in ihrer Mitte. Es gelingt ihnen, Leben zu gestalten, in dem der Auferstandene vorkommt und sie ihm begegnen können.
Dennoch bedarf es wirkmächtiger und greifbarer Ansatzpunkte, um das Geheimnis des „neuen Lebens“ im Auferstandenen mehr und mehr zu erfassen. Im Evangelium des Johannes finden wir besondere Bildworte, die uns jene Ansatzpunkte des Verstehens deutlich vor Augen führen. Deshalb werden uns zwei dieser Bildworte Jesu in den Evangelien der kommenden beiden Sonntage der Osterzeit vor Augen gestellt.
Das erste der Bildworte: Ich bin der Gute Hirte!
Für die Menschen um Jesus ist das Bildwort vom „Guten Hirten“ absolut nicht fremd. Es gehört zu ihrer Geschichte und zu ihrem Glauben. Immer wieder, in den Psalmen (vgl. Ps 23 „Der Herr ist mein Hirte“ od. Ps 77,21 „Du führtest dein Volk wie eine Herde…“), besonders bei den Propheten, wird das Motiv aufgenommen: Gott als Hirt seines Volkes. Gott aber auch als Hüter des Einzelnen, und nicht nur eine geordnete Herde von braven Schafen ist da gemeint – viele Male muss sie erst aus der Zerstreuung zusammengeführt werden. Beim Propheten Ezechiel ist das ganze vierunddreißigste Kapitel des gleichnamigen Buches dem Hirtenthema gewidmet, zunächst wird da Kritik geübt an den schlechten Hirten: „Weh den Hirten, die nur sich selbst weiden!“ Doch dann sagt Gott, er wolle selbst seine Schafe suchen und sich um sie kümmern. Wie das geschehen wird, wird in anrührenden Worten geschildert: „Das Verlorene werde ich suchen, das Vertriebene werde ich zurückbringen, das Verletzte werde ich verbinden, das Kranke werde ich kräftigen“ (Es 34,16). Diese Bekenntnisse über Gott den Hirten gipfeln in einer messianischen Vision: „Ich werde über sie einen einzigen Hirten einsetzen, der sie weiden wird...“ (Ez 34,23).
An all dem knüpft Jesus nach den Worten des Evangelisten Johannes an. Die Menschen verstehen, dass er sich in die verheißene Hirtentradition hineinstellt. Besonders die Schriftkundigen, die Pharisäer, die unter seinen Zuhörern sind, verstehen die Kritik und den Anspruch Jesu sehr gut, wenn er sagt: „Ich bin der gute Hirt… Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber /… / flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt“ (Joh 10,11-13). Der Gefahr, in die sich Jesus mit diesem Anspruch begibt, begegnet er mit seiner ganzen Souveränität: „Ich habe Macht, mein Leben hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen“ (Joh 10,18). Die Leute werden davon unterschiedlich berührt, wie der Evangelist Johannes in den Versen nach unserem Evangelientext erzählt. Da heißt es, dass viele sagen: Er sei von einem Dämon besessen und rede im Wahn, warum höre man ihm überhaupt zu? Andere sagen: So rede kein Besessener. Kann ein Dämon die Augen von Blinden öffnen? (vgl. Joh 10,20f). Sie, die Zuhörer, Gegner und Sympathisanten, beginnen, die göttliche Wirklichkeit in Jesus zu ahnen und sich danach zu sehnen, dass ihnen die Augen geöffnet werden, damit sie „erkennen“, wer ihnen da wirklich begegnet.
Ja, das ist das Stichwort: „Erkennen“. Hier wird die österliche Botschaft für uns greifbar und deshalb wird an diesem 4. Sonntag der Osterzeit dieser Abschnitt aus dem Johannesevangelium in der Liturgie der Hl. Messe vorgelesen: Auch wir sollen „erkennen“ wer und was der irdische und der auferstandene Jesus für das neue Bundesvolk Gottes, für uns Christen, für alle Menschen, die zu Gott gehören, ist. Das Bildwort vom „Guten Hirten“ trifft so in seiner ganzen Dimension auch uns in der Tiefe unserer Existenz, die wir dem Auferstandenen Herrn begegnen wollen. Auch in unserem Leben spielt die Sehnsucht eine Rolle, die Sehnsucht nach dem Dazugehören, dem Beheimatetsein, dem Behütetwerden, dem Angenommensein. Gekannt und erkannt zu werden – nicht namenlos zu bleiben, sondern beim Namen gerufen werden (vgl. Joh 10,3b) – eine Stimme hören, der wir vertrauen können: ganz tiefe Sehnsüchte werden angesprochen und auf den Gottes- und Menschensohn gelenkt. Selbst die letzte Unbehaustheit angesichts des Todes findet ein Dach. Die Verlorenheit in ausweglosen Situationen, die Verlorenheit von Schwerkranken, die Verlorenheit der vom Leben Enttäuschten, die Verlorenheit vieler Menschen in der Situation des Sterbens... Das Bildwort Jesu vom „Guten Hirten“ führt uns zu unserer letzten und entscheidenden Beziehung zu Gott, unserem Schöpfer und Lebensspender. „Ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich“ – so lautet die Kernbotschaft des Herrn und wer diese Botschaft annimmt und zu leben wagt, für den gibt es keine letzte Verlorenheit mehr. Da, wo wir spüren und vertrauend wissen, es ist jemand da, noch dazu einer, der mich – uns kennt, für mich – uns sorgt, der sogar sein Leben für mich – uns hingibt, da gewinnen wir Halt und Zuversicht. Das ist nicht einfach so gesagt: In der zweiten Satzhälfte: „…die Meinen kennen mich“ verbirgt sich neben der Verheißung auch das Wagnis gläubiger Existenz. Wann denn dürfen wir das sagen: Ich kenne Dich, Herr? Zufällig kann das nicht sein, so wie ich irgend jemanden irgendwo einmal flüchtig begegne. Jemand so zu kennen, dass auch in Extremsituationen die letzte Zuversicht bleibt, dass der oder die andere für mich da sein wird, bedeutet, mein Leben mit ihm oder ihr zu teilen. Nur dort, wo Menschen sich einander mit-teilen, kennen sie sich wirklich. Nur dort, wo ich an meinem Leben teilhaben lasse, wächst tragende Vertrautheit. Jesu Wort „Die Meinen kennen mich…“, bedeutet so: „Die Menschen kennen mich, wenn sie mich an ihrem Leben teilhaben lassen und mir vertrauen.“ Wer sich das vom Herrn zusprechen lässt, wird erfahren, dass im „Neuen Leben“ des auferstandenen Herrn, in der tiefen Verbundenheit mit ihm alle unsere Sehnsüchte gestillt werden. So gehen wir selbst hinein in das Leben der Auferstehung.
Seien Sie vom Herrn gesegnet und behütet! Ihr P. Guido